18.07.2025

Taiwan Today

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Ein noch unbekanntes Eldorado

01.05.1999
Geteilter Spaß ist doppelter Spaß. Leider gibt es bisher in Taiwan kaum Geschäfte für Kajakbedarf.

Bei "Taiwan" denken die meisten Menschen eher an Computer als an den aufregenden Kajaksport. Kajakfahren? In Taiwan? Es ist eine verbreitete Auffassung, daß man wohl in den Anden oder den Rocky Mountains im Sportpaddelboot die Stromschnellen runterschrubben kann, aber nicht in Taiwan. Kajakenthusiasten versichern jedoch, daß Taiwan tatsächlich fürs Kajakfahren wie geschaffen ist. Bei genauerer Betrachtung von Taiwans Topographie ist das auch keine Überraschung: Im Herzen der Insel liegen zahlreiche Bergriesen mit über 3000 Metern Höhe -- der Jadeberg, der Schnee-Berg und viele andere Gipfel des Zentralgebirgsmassivs. Von diesen hoch gelegenen Orten stürzen Flüsse in die Küstenebenen hinab und strömen schnell zum Meer, so daß Kajakfahrer, die mit dem Tempo und den Hindernissen fertig werden können, die schönsten Touren ihres Lebens machen können.

Entwickler von Ferienorten und Reisefirmen haben das touristische Potential der Flüsse in Taiwan schon lange erkannt. An vielen Flüssen kann man bereits eine breite Palette von Freizeitaktivitäten wahrnehmen. Am beliebtesten sind immer noch Grillpicknicks an Flußufern, was nach dem Geschmack vieler Einheimischer gerade noch bequem genug ist.

Viele Dinge in Taiwans Gesellschaft befinden sich jedoch "im Fluß". Durch den Einfluß des Fernsehens und die Erfahrung längerer Auslandsaufenthalte erwarten viele junge Taiwanesen inzwischen mehr von ihrer Freizeit. Auf diese Weise sind einige alternative Sportarten in Mode gekommen, beispielsweise Bungee-Springen von Flußbrücken oder Paddeln auf dem landschaftlich herrlich gelegenen Hsiuguluan-Fluß in Osttaiwan.

Solche Sportarten machen zwar Spaß, sind für den Sportler aber keine so große Herausforderung wie Kajakfahren. Dieses Hobby kostet Zeit und Geld -- man muß sich erst die Ausrüstung kaufen, und bis man ein versierter Kajakfahrer ist, braucht man auch seine Zeit. Das hat letzten Endes die Ausbreitung dieses Sports in Taiwan gebremst, aber der wachsende Wohlstand der taiwanesischen Gesellschaft hat in der jüngsten Zeit immer mehr Berufstätige dazu gebracht, es mit dem Kajakfahren zu versuchen.

Kajakfahren ist nicht einfach nur ein flüchtiger Nervenkitzel. Für die glühendsten Enthusiasten ist es zu einem Lebensstil geworden. Lee Schondorf von der in Taipei ansässigen Firma Adventure Kayak berichtet, daß sich in Taiwan anfangs nur wenige Menschen fürs Kajakfahren erwärmten -- die meisten von ihnen waren übrigens Ausländer, die ihr Können und ihre Boote aus dem Ausland mitbrachten und damit Taiwans vielversprechende Flüsse erprobten.

Damals gab es in Taiwan noch keine Kajaks zu kaufen, daher dachte auch kaum jemand an Werbung für diesen Sport bei den Einheimischen, und viele Jahre lang blieb Kajakfahren die Domäne einiger weniger Auserwählter. Diese engagierten Pioniere leisteten jedoch wichtige "Feldforschung", indem sie die besten Routen in den Bergen und Küstenregionen ausfindig machten.

Die Entwicklung des Kajaksports in Taiwan wurde durch mehrere größere Hindernisse erschwert -- zum Beispiel Regierungsbestimmungen, die den Import von Wasserfahrzeugen für den privaten Gebrauch beschränkten, die Unkenntnis der Polizeibehörden über den Kajaksport und der allgemein unzureichende Organisationsgrad der Kajakfreunde in Taiwan. Die Importbeschränkungen wurden zwar in den letzten Jahren gelockert, aber es gibt immer noch nur sehr wenige Geschäfte für Freizeitbootausrüstung jeglicher Art. Besonders im Hinblick auf Kajakbedarf ist die Zahl der Geschäfte in Taiwan praktisch gleich Null.

Fachlich fundierte Beratung über den Kajaksport wird man in den Geschäften für Freizeitbootbedarf auch kaum erhalten können. "In vielen Sportgeschäften in Taiwan haben die Verkäufer keine Ahnung über die Ausrüstung, die sie da verscheuern, und natürlich können sie auch keine Tips oder gar Unterricht vermitteln. Sie wollen nur, daß man ihr Zeug kauft", klagt ein einheimischer Kajak-Neuling.

Die Bedenken der Behörden gegen den Kajaksport beruhten vor allem auf Sicherheitserwägungen. Die Einwände werden im allgemeinen jedoch fallengelassen, sobald die Beamten erfahren, daß bei Organisationen wie Adventure Kayak Sicherheit ganz großgeschrieben wird, bemerkt Schondorf. Nach seinen Worten verlangt seine Organisation bei jeder ihrer wöchentlichen Flußtouren von den Teilnehmern obligatorisch das Tragen von Schutzhelm und Schwimmweste.

Typisch für die Art und Weise, wie Newcomer zu dem Sport kommen, war ein Treffen von 10 Neulingen im Sommer letzten Jahres zu einem Anfängerkurs für grundlegende Kajaktechniken an einem Fluß bei Wulai (Nordtaiwan). Die meisten von ihnen waren über das Internet auf diese Sportart aufmerksam geworden -- auf der Internet-Website von Adventure Kayak (http://www.kayak.cjb. net/) können viele Informationen über Kajakfahren abgerufen werden. Einige andere hatten bei Studienaufenthalten im Ausland vom Kajaksport erfahren und wollten ihn nun auch selbst erlernen. Ein junger Mann hatte die Anregung kurioserweise aus einer Zigarettenwerbung bezogen, in der sich ein Kajakfahrer durch aufgewühlte Wasser kämpfte.

Ein Anfängerkurs auf dem relativ ruhigen Hsintien-Fluß ist sicher nicht so spannend und aufregend, wie Neulinge es erwarten, aber trotzdem fanden die Ruderdebütanten in Wulai ihre ersten Versuche im Kajak sehr anstrengend. In dem Kurs lehrte Schondorf grundlegende Kajaktechniken und Steuermanöver wie Wellenkreuzen, Wenden und die sogenannte Eskimorolle. Vor allen Dingen wurden natürlich Rettungsmaßnahmen geübt. Trotz der nicht unbeträchtlichen Kosten hatten einige Teilnehmer der Gruppe bereits ihr eigenes Kajak erworben. Die teuerste Neuanschaffung kam übrigens aus Deutschland und hatte den Besitzer nicht weniger als rund 3000 DM gekostet.

Das etwa eine Autostunde im Süden von Taipei gelegene Wulai-Gebiet hat einige zum Kajakfahren ausgezeichnet geeignete Stellen: Shuanghsikou beispielsweise ist für Anfänger einfach ideal, und weiter stromaufwärts am Doll-Valley gibt es anspruchsvollere Abschnitte. Kajakfreunde finden aber auch anderswo in ganz Taiwan zum Paddeln geeignete Stellen, etwa an den Flüssen Tachia oder Chuoshui. Erfahrene Wildwassercracks kommen in den dramatischen Stromschnellen der Tarokoschlucht voll auf ihre Kosten.

Kajakfahren beschränkt sich in Taiwan freilich nicht nur auf Flüsse. Küstengewässer und Seen haben ebenfalls ihren Reiz, erfordern aber einen anderen Bootstyp. Ein Flußkajak ist relativ kurz und hat einen runden Boden -- eine Form, die bei hohem Tempo rasches Ausweichen vor Felsen ermöglicht. Ein Meereskajak ist dagegen erheblich länger und verfügt über einen Kiel, der dem Boot eine höhere Stabilität verleiht.

An Taiwans Nordostküste verbinden manche Meereskajak-Fans den Sport mit Schnorcheln und Felsenkletterei. Das Kajak ist dabei ein ideales "Verkehrsmittel", um ansonsten über Land nur schwer ereichbare Küstenabschnitte anzusteuern. Auch die Ufergewässer an der Grünen Insel vor Taiwans Südostküste ziehen zunehmend Kajakfahrer an, und der Sonne-Mond-See im zentraltaiwanesischen Gebirge hat sich einen Ruf als hervorragender Platz für Kajakfahren in offenen Gewässern erworben.

Fahrten in Wildwasser und in offenen Gewässern stellen an den Ruderer unterschiedliche Anforderungen. Auf Flüssen muß man sich im Zickzackkurs durch Stromschnellen kämpfen, während man auf dem Meer sehr auf die Küstenströmungen achten muß -- das lernt man nicht in ein paar Tagen. Anfänger merken sehr schnell, daß ein Abenteuersport wie Kajakfahren durchaus gewisse Risiken birgt. Das heißt zwar nicht, daß der Sport per se gefährlich ist, aber man muß natürlich bestimmte Vorsichtsmaßnahmen treffen und das nötige Können erwerben.

Sobald ein Anfänger erst einmal den Bogen raus hat, kann Kajakfahren auf Taiwans landschaftlich wunderschönen Flüssen eine äußerst positive Erfahrung sein. Außerdem ist es ein sehr sozialer Sport: Das erfrischende Gefühl, gemeinsam einen anspruchsvollen Fluß durchquert zu haben, schafft zwischen den Teilnehmern dauerhafte Freundschaften.

Sicherlich braucht ein Anfänger eine Weile, bis er geschickt durch tosende Stromschnellen sausen kann. Aber selbst die Erfahrung des Lernens mit den unfreiwilligen Tauchbädern kann sehr erfrischend, erregend und freundschaftsbildend sein.

(Deutsch von Tilman Aretz)


Ian Bartholomew ist Mitarbeiter der
englischsprachigen Monatszeitschrift
"Travel in Taiwan" (Reisen in Taiwan),
die vom Tourismusamt der Republik
China herausgegeben wird.

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